Sinn in der Arbeit und Freiheit als Herausforderung – ein Beitrag von Anouk Meinke

Es ist doch eine wesentliche Veränderung, wenn einem 12 Jahre lang vermittelt wird, dass alles, was man für seine Zukunft Sinnvolles tun könne, darin besteht, in der Schule fleißig zu sein – und diese Zeit nun endet. Plötzlich reicht es nicht mehr, sich in der Schule anzustrengen oder vielleicht noch durch Hobbies Anerkennung zu genießen. Jetzt stehen einem alle Möglichkeiten offen und werden einem in der vernetzten Welt zudem permanent präsentiert. Soll ich mich mal in Cambridge bewerben? Oder lieber erst um die Welt reisen? Oder bin ich eigentlich schon längst irgendwo falsch abgebogen?

Emanzipation von der Leistungsgesellschaft

Was ist das eigentlich für ein „Erfolg“, nach dem ich suche oder suchen sollte? Bin ich gerade der Leistungsgesellschaft entkommen, weil meine schulischen Leistungen nicht mehr permanent mit denen meiner Mitschüler:innen verglichen werden? Oder werde ich gerade erst Teil der Leistungsgesellschaft des sogenannten echten Lebens?

Schon vor einer Weile wurde mir klar, dass es Dinge gibt, die ich um ihrer selbst willen tun möchte und die mir vielleicht auch dabei helfen können, mich von der Wettbewerbsorientierung unserer Leistungsgesellschaft zu emanzipieren. Ein Buch könnte ich zum Beispiel lesen, um danach darüber sprechen zu können und als gebildet wahrgenommen zu werden. Oder aber auch, weil es mich wirklich interessiert.

Vielleicht sollte ich so auch bei der Berufswahl verfahren – also eine Tätigkeit wählen, die ich als wirklich sinnvoll erachte und die mich persönlich interessiert? Wäre das nicht der vielversprechendste Weg, mich von den allgegenwärtigen Vergleichs- und Wettbewerbsgedanken zu emanzipieren?

Sinnhaftigkeit durch größtmöglichen Einfluss?

Mit dieser Frage im Hinterkopf habe ich mich nach dem Abitur entschieden, zwei Praktika zu machen, um einen Einblick in die Arbeitswelt zu bekommen und vielleicht auch eine Idee davon zu entwickeln, was ich selbst später mal machen möchte, weil ich es persönlich sinnvoll finde.

Bei meinem ersten Praktikum bei einer Bundestagsabgeordneten bekam ich einen Einblick in die Arbeit als Politikerin und stellte fest, dass es in vielen politischen Debatten nicht wirklich darum geht, gemeinsam zu einer Verbesserung zu gelangen, sondern vielmehr darum, die eigene Partei und vor allem sich selbst unabhängig von realen Errungenschaften als besonders kompetent darzustellen, um beim nächsten Mal wiedergewählt zu werden. Ich hatte den Eindruck, dass es in politischen Diskussionen nicht um Dinge wie Gerechtigkeit oder Wahrheit geht, sondern eigentlich nur um Macht. Außerdem hat sich bei mir der Eindruck entwickelt, dass die Parlamentarier:innen – die scheinbar einflussreichsten Menschen Deutschlands – zwar unfassbar viel arbeiten, aber dass das, was sie versuchen durchzusetzen, oft nur sehr kleine Auswirkungen hat. Sinnhaftigkeit durch gesellschaftlichen Einfluss ist sogar hier also nicht unbedingt gegeben.

Vermutlich sollte man den Sinn der eigenen Arbeit aber nicht nur daran messen, wie groß der gesamtgesellschaftliche Einfluss ist. Wenn man den Sinn der eigenen Arbeit als Umsetzung von eigenen und persönlichen Überzeugungen sieht, kann man wohl aus intrinsischer Motivation heraus arbeiten und ist auch von den Anerkennungsgedanken befreit, da man auf sinnstiftende Anerkennung gar nicht mehr angewiesen ist.

Sinn als gemeinsame Aufgabe

Mein zweites Praktikum konnte ich anschließend in der Thales-Akademie für angewandte Philosophie machen. Dabei habe ich erlebt, wie und woran hier gearbeitet wird, v.a. wie die Weiterbildungen Wirtschaftsethik und Medizinethik geplant und durchgeführt werden. Die Thales-Akademie habe ich nicht nur als gemeinsamen Arbeitsplatz, sondern auch als Interessengemeinschaft wahrgenommen.

Sobald man einer Tätigkeit nachgeht, durch die man bestimmte Werte oder eine bestimmte Haltung vertritt, befindet man sich in einer Organisation automatisch in einer Interessens-, aber auch Wertegemeinschaft, was einen in der eigenen Haltung noch weiter bestärkt. Was ich schön zu sehen finde, ist, dass es die Möglichkeit gibt, sich in so eine Wertegemeinschaft zu begeben.

Wenn man zur Schule geht, befindet man sich unfreiwillig in einer sehr pluralen Mitwelt, durch deren starke Gruppendynamiken einem suggeriert wird, neben einer dominierenden „mainstream-Gesellschaft“ gäbe es nur verschiedene marginalisierte Gruppen oder Personen. Dass es in der Welt jenseits der Schule und besonders in der Arbeitswelt offenbar keine solche klar dominierende Mehrheitsgesellschaft gibt, sondern verschiedenste Subkulturen, die sich vor allem als Interessensgemeinschaften bilden, ist für mich eine ganz neue Erkenntnis.

Gegenüber gegenseitiger Verstärkung kritisch bleiben

Das ist ein Vorteil der gesellschaftlichen „Blasen“. Andererseits ist es natürlich auch ein bekanntes Phänomen, dass man sich in einer homogenen Gruppe wie etwa einem Freundeskreis oder eben einem Arbeitsumfeld gegenseitig verstärkt, immer weiter von anderen Gruppen entfernt und die gemeinsamen Überzeugungen immer weniger hinterfragt.

Daher kann man sich natürlich ganz konkret fragen, wie sinnvoll es ist, wenn man durch seine Arbeit Menschen zum Umdenken oder Denken überhaupt anregen möchte, sich vor allem an solche zu richten, die sowieso bereit sind zur Reflexion und zum Hinterfragen vieler Gewohnheiten. Wie weit dürfen oder sollten andere Menschen von Projekten ausgeschlossen werden, um diese für die Beteiligten am angenehmsten und produktivsten zu gestalten?

Die Weiterbildungsangebote der Thales-Akademie werden vor allem von sowieso schon gebildeten Menschen besucht, deren Einkommen auch in vielen Fällen über dem Durchschnitt liegt. Sie zeichnen sich, das konnte ich selbst erleben, durch eine sehr offene, ehrliche und wertschätzende Atmosphäre aus. Wäre dies auch möglich, wenn man die Seminare – auch über die bestehenden Stipendienangebote hinaus – auf weniger privilegierte Menschen zuschneiden würde? Bestünde bei diesen überhaupt Interesse an philosophischen und ethischen Fragen oder so offenen Bildungsformaten? Ich weiß es nicht, aber ich hoffe, dass man diese Frage irgendwie bejahen kann. Jedenfalls finde ich die Überlegungen sehr unterstützenswert, die zu diesen Fragen an der Thales-Akademie derzeit angestellt werden.

Bildung als persönliche Entwicklung

Die Weiterbildungen der Thales-Akademie dienen eben nicht dazu, exklusives Wissen an Auserwählte zu vermitteln, sondern Bildung als das Entwickeln einer reflektierten und auch (selbst)kritischen Haltung zu verstehen und anzubieten. Dies setzt Interesse voraus und kann eben auch nicht anempfohlen oder sogar aufgezwungen werden. Deshalb finde ich, dass man solche Bildungsangebote zum eigenen und selbstständigen Denken als sinnvoll betrachten kann.

Philosophie als Gegenstand und Herangehensweise

Dass ich in der Thales-Akademie in den letzten vier Wochen unglaublich engagierte und motivierte Menschen beobachten konnte, hat mich sehr gefreut und inspiriert. Außerdem hat es mich davon überzeugt, dass es möglich ist, in der Arbeitswelt eine Niesche zu finden, um intrinsisch motiviert und aus Überzeugung mit anderen zu arbeiten und durch einen kleinen Beitrag der „Weltverbesserung“ gemeinsam Sinnhaftigkeit zu erfahren. Was mich besonders fasziniert hat, ist das Zusammentreffen von  Freundlichkeit, aber auch radikaler Offenheit und Ehrlichkeit und dem ständigen Wunsch nach Verbesserung, auch der eigenen Arbeit. Diese Umgangsform in der Thales-Akademie zeigt, dass Philosophie hier nicht nur der Gegenstand der Arbeit ist, sondern tatsächlich auch praktiziert wird.

Foto: Max Fuchs via Unsplash